Foto: dreaming von Moyan Brenn (CC BY 2.0)
Wenn wir ehrlich sind, flüchten wir uns alle hin und wieder in Tagträume und malen uns aus, wie es wohl wäre, wenn wir mehr Geld hätten, eine Familie gründeten, eine Villa kauften ...
Da ich mich sehr für das Thema Motivation interessiere und man häufig hört, mit „positivem Denken“ gehe alles leichter, stellt sich die Frage, ob ein positives Visualisieren wirklich einen positiven Effekt auf die Motivation hat.
Oder anders: Helfen uns Tagträume bei der Umsetzung unserer Ziele? Die Antwort ist wie immer ein bisschen komplexer.
In einer Studie untersuchten die Psychologinnen Oettingen und Mayer (2002),
welchen Einfluss Fantasien (vergleichbar mit Tagträumen) über positive Zukunftseregnisse auf die Motivation haben, diese zu erreichen. Tagträume werden definiert als spontan im Gedankenstrom
auftretende Visualisierungen von positiven Ereignissen oder Zuständen. Davon grenzten sie Erwartungen über die positiven Ereignisse, die auf Erfahrungen basieren, ab.
Um es klar zu machen: Die Frage der Autorinnen lautet, ob mein Zielstreben und meine Motivation höher ist, wenn ich mir bspw. (in einem Tagtraum) vorstelle, in einem romanischen Sakralbau mit
eigenem Jetpack-Landeplatz zu wohnen oder ob ich Erwartungen darüber anstelle, wie wahrscheinlich dieses Szenario ist, indem ich bei der Bewertung vergangene Erfahrungen und den derzeitigen
Zustand mit einfließen lasse. (Zugegebenermaßen ist dieses beknackte Beispiel von mir konstruiert. Wer hätte es gedacht ...)
Oettingen und Mayer untersuchten die Fragestellung in vier Studien. Die erste befasste sich mit Studenten und deren Fantasien bzw. Erwartungen über den Berufseintritt, die zweite mit dem Beginn
einer Liebesbeziehung, die dritte mit akademischem Erfolg und die vierte mit der Genesung nach einer Operation. Ein Jetpack-Landeplatz-Beispiel fehlt aus unerklärlichen Gründen völlig in der
Studie. Nunja, man kann nicht alles haben.
Die Ergebnisse waren eindeutig: In allen Belangen verursachten positive Fantasien einen geringeren Erfolg. Studierende, die in Erfolgsfantasien schwelgten, waren weniger
erfolgreich als Studierende, die positive Zukunftserwartungen anstellten. Das gleiche Bild beim „Erfolg“, eine Beziehung mit dem Schwarm zu beginnen und bei der Genesung von einer
Operation.
Wie kann das sein?
Die Erklärung, die Oettingen und Mayer für ihre Ergebnisse haben, ist ebenso einfach wie einleuchtend: Das Schwelgen in Fantasien ist ein tiefgreifendes Erlebnis im Hier und Jetzt, ohne jegliche (realistische) Störfaktoren. Der Student, der sich der Fantasie hingibt, ein erfolgreicher Geschäftsmann zu sein, der Unmengen Geld verdient, erfährt quasi währenddessen seine „Belohnung“. Die Erfahrung ist bereits so positiv für ihn, dass er weniger Motivation im „echten“ Leben aufwenden wird, um dieses Ziel auch wirklich zu erreichen. Das Ziel war ja praktisch schon erreicht.
Positive Erwartungen hingegen kalkulieren vergangene Ereignisse mit ein und können so ein Signal senden, dass es sich lohnt, jetzt Mühe zu investieren, um zukünftig das Ziel zu erreichen.
Diese Ergebnisse geben Anlass zu der Vermutung, dass die in Selbsthilfekreisen beliebte und meist auf die Kurzform „Think positive“ zusammengeschrumpfte Behauptung, mit positivem Denken sei praktisch alles zu erreichen, differenzierter betrachtet werden muss.
Wie die Autorinnen zeigen konnten, scheint eine Unterscheidung vonnöten. Das positive Denken gibt es also nicht. Eine Aussage darüber, inwieweit positiv zu denken Vor- oder Nachteile mit
sich bringt, hängt davon ab, auf welche Art positiv gedacht wird.
In einem früheren Beispiel von Oettingen und Wadden ging es um übergewichtige Probandinnen, die versuchten abzunehmen. Es zeigte sich, dass positive Erwartungen („Es ist wahrscheinlich, dass ich abnehmen werde.") negativen („Es ist unwahrscheinlich, dass ich abnehmen werde“) überlegen waren, was die Motivation angeht. Das spricht ja für positives Denken.
Ein überraschendes Bild zeigte sich aber bei den Fantasien/Tagträumen. Die Frauen, die sich der Fantasie hingaben, ohne Probleme einer vollen Doughnut-Packung zu widerstehen, nahmen durchschnittlich 24 Pfund weniger ab als Probandinnen, die sich vorstellten, dass sie es sehr schwierig haben würden, diesen Doughnuts zu widerstehen. Eine mögliche Erklärung ist hier, dass die negativen Bilder, übergewichtig zu bleiben, so plastisch sind, dass sie die Motivation erhöhen, tatsächlich abnehmen zu wollen.
Das heißt, dass positive Tagträume die Motivation verringern, sondern dass negative Tagträume den Erfolg und die Motivation erhöhen können. Verrückt.
Was Oettingen und Mayer da herausgefunden haben, ist auf den ersten Blick überraschend. Wenn man sich jedoch ein bisschen mit Musik auskennt, hätte man selbst darauf kommen können, dass sich
Tagträumen negativ auf die Motivation auswirkt. Ozzy Osbourne singt ja bekanntlich: „I’m just a dreamer, I dream my life away ...“ Und wie motiviert der wirkt, brauche ich jetzt
hoffentlich nicht näher auszuführen.
Autor: Christian Krauß
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